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Thesen zum Anrecht auf Sterbehilfe bei sehr alten Menschen

 

In der aktuellen Diskussion wird meines Erachtens Folgendes nicht berücksichtigt:

 

1. Die Situation sehr alter Menschen muss separat betrachtet werden.

Sehr alte Menschen (Z.B. ab 85 Jahren) sind fast immer lebenssatt. Im Falle des Eintretens eines schweren Krankheitsfalls wünschen sich nahezu alle vor allem ein ruhiges und schnelles Sterben ohne aufwändige medizinische Behandlung. Keiner will dement oder ohne Bewusstsein bei künstlicher Ernährung am Leben erhalten werden. Deshalb muss es ein Menschenrecht auf altersgerechtes, lebenssattes Sterben geben. Wenn diese Sicht aber der Normalfall ist, müsste im Falle von eintretenden schweren Erkrankungen mit Koma oder fehlendem Bewusstsein von diesem Normalfall ausgegangen werden.

Das bedeutet,

1. dass das Prinzip des Patiententestamentes im sehr hohen Alter umgedreht werden müsste: Nur wer ausdrücklich verfügt, dass im schweren Krankheitsfall alle möglichen und ärztlich vertretbaren medizinischen Massnahmen zum Erhalt seines Lebens eingesetzt werden sollen, wird in diesem Sinne behandelt. Normalerweise werden in dieser Situation nur noch palliative Behandlungen durchgeführt. Nicht mehr der Sterbewunsch muss dokumentiert sein, sondern der Wunsch nach Anwendung lebensverlängernder Massnahmen, über deren Sinnhaftigkeit und Anwendung dann Ärzte entscheiden;

2. dass die Gesetzeslage so verändert werden sollte, dass bei schwerster Krankheit mit andauernd fehlendem Bewusstsein im sehr hohen Alter auch ohne eine vorliegende schriftliche Einwilligung des komatösen oder bewusstlosen Patienten das Leben des Patienten in Übereinstimmung mit seinem Betreuer und seinen Angehörigen durch eine von einem Arzt geleistete aktive Sterbehilfe beendet werden kann.

Hintergrund: Umfragen bei sehr alten Menschen zeigen, dass nahezu niemand ein Krankenlager auf sich nehmen möchte, wenn er in einen Zustand schwerer Demenz verfallen oder im Koma liegen würde und nicht mehr in der Lage wäre, seinen Willen zu äussern. Stattdessen sollte ein Beenden aller ärztlicher Massnahmen (künstliche Ernährung, Herzschrittmacher, Medikamente etc ausser palliativmedizinischer Hilfe) einen möglichst schnellen ruhigen Tod herbeiführen. Wenn dieser Verzicht auf ärztliche Massnahmen dennoch nicht zu einem baldigen Lebensende führt, sollte ärztliche aktive Sterbehilfe gesetzlich möglich sein. Möglicherweise könnte dazu die Einwilligung nicht nur des Betreuers, sondern auch der Angehörigen, eines Ethikkomitees und eines Gerichtes sinnvoll und angemessen sein. Da nicht alle Menschen in der Lage sind, eine Patientenverfügung aufzusetzen, darf das Vorhandensein eines solchen Schriftstückes nicht als Voraussetzung gelten für das dem Patienten zustehende Recht auf ein altersgerechtes menschenwürdiges Sterben.

Der Wunsch nach baldigem ruhigen Sterben und nicht nach Lebensverlängerung ist in solcher Situation der Normalfall. Davon ist auch bei fehlenden Ausdrucksmöglichkeiten des Patienten auszugehen.

 

2.) Palliativmedizin und Hospize machen Sterbehilfe nicht überflüssig.

In der Debatte über Sterbehilfe wird häufig die Argumentation gebraucht, dass der Sterbewunsch aus Angst vor Schmerzen, Einsamkeit oder Verlust der Selbstbestimmung erwächst.

Aber diese Sichtweise geht an der Realität vieler sehr alter Menschen vorbei.

Der Vorwurf falsch verstandener Selbstbestimmung, Angst vor Einsamkeit und Schmerzen entspricht in dem hohen Alter von 85 und 90 Jahren nicht mehr der Wirklichkeit: Für die meisten dieser sehr alten Menschen sind andauernde Schmerzen, das Angewiesensein auf andere und Erlebnisse langer Einsamkeit keine neuen Lebenserfahrungen mehr.

Der Sterbewunsch dieser Patienten erwächst aus der Aussicht auf ein unnütz verlängertes Leiden, an dessen Ende unausweichlich der Tod stehen wird: Warum sollten Menschen gezwungen sein, eine solche weitgehend passive und hoffnungslose Leidensphase durchzustehen?

Für die Begleitung in den Wochen der aktiven Sterbephase sind Palliativmedizin und Hospizarbeit äusserst segensreich. Ihre Existenz rechtfertigt aber nicht, dass der Sterbende eine längere Liegezeit im Koma oder ohne Bewusstsein auf sich nehmen muss, weil sein Körper den Weg zum Tod nicht finden kann. Hier muss der sehr alte Mensch ein Anrecht auf ärztliche Sterbehilfe haben.

 

3.) Nicht die Interessen der Fachleute müssen zählen, sondern die Interessen der Betroffenen

In der Diskussion über das Anrecht auf Sterbehilfe sind weitgehend Fachleute engagiert, die eigene persönliche Interessen haben, weil sie Teil von Institutionen sind, deren Interessen durch ein Anrecht auf Sterbehilfe tangiert würden: Hospize, Krankenhäuser, Palliativmedizin, Diakonie, Caritas und Pflegedienste sind auf Patienten angewiesen. Mitdiskutierende Fachleute als Theologen, Mediziner und Psychologen können als Teil dieser Institutionen nicht von ihren eigenen und den Interessen ihrer Institutionen nach belegten Heim- und Pflegebetten absehen.

Uralte Menschen, schwerstkranke Menschen und im Koma liegende Menschen können nicht mehr für sich selbst sprechen und ihre Interessen selbst vertreten, sondern es sprechen die Vertreter der sie betreuenden Institutionen für sie: Und deren Interessenlage weicht erheblich von den direkten Interessen dieser Menschen ab.

Wenn nach Umfragen 80 bis 90 Prozent aller Menschen für sich persönlich das Anrecht auf Sterbehilfe fordern, aber Kirchen, Parteien und andere Institutionen ihnen dieses Recht nicht zugestehen wollen, dann dürfte hier eine Ursache für diese grosse Diskrepanz zwischen den Ansichten der Bürger und den offiziellen Ansichten der Kirchen (und Parteien) liegen:

- Kirchen und Fachleute gehen in der Diskussion aus von dem Problem des Tötens: Sie diskutieren über ethisch und theologisch vertretbare Normen von Sterbehilfe. Die Stimmen und Interessen der direkt betroffenen sehr alten, lebenssatten Menschen haben in dieser Diskussion wenig Gewicht.

- Bürger haben vor allem die Angst vor einem langen bewusstlosen Dahin-siechen im hohen Alter im Mittelpunkt ihrer Gedanken und das Anrecht auf Sterbehilfe ist für sie die Garantie gegen einen solchen Leidensweg zum Tode.

 

 

Manfred Alberti

 

 

 

 

 

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© Manfred Alberti

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